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Trotz allem habe ich nicht das Bedürfnis, die Uhr zurückzudrehen, auch in dieser Nacht nicht. Stattdessen summe ich, ich möcht' nicht noch mal zwanzig sein und so bekloppt wie damals.

Aber dann ruft die nächtliche Stille im Zimmer eine ganz alte Erinnerung wach. Ich bin fünf und klettere aus meinem Bett, die Nacht ist noch nicht ganz rum, die Dämmerung lässt noch auf sich warten, aber ich bin sofort hellwach und habe nur einen Gedanken, ich will weiterbauen mit Lego. Hunger und Durst fühle ich nicht, wichtig ist nur, da weitermachen zu können, wo ich am Abend zuvor aufhören musste, weil der Tag für beendet erklärt wurde.

Ganz hier und jetzt zu sein, um eine Sache zu machen, die mich vollkommen ausfüllt, um ihrer selbst willen und nicht für Anerkennung, aus mir selbst heraus und nicht auf Anordnung. Das ist das Lego-Gefühl.

Das Gegenteil von Arbeit. Von Lohnarbeit. Von Erwerbsarbeit.

Für die Realisten von rechts ein kindischer Traum, für die von links bürgerlicher Bohème-Quatsch. 200 Jahre Industriekapitalismus haben ihre Wirkung nicht verfehlt und Arbeit moralisch aufgeladen. Ohne Arbeit bist du nichts, wer keine hat, will sie zurück, wer sie hat, will noch mehr davon, um sich besser dünken zu können.

Die Kralle des industriellen Mindsets umschließt den Verstand wie angegossen. Millionen Geiseln der Industrie-maloche leiden am ökonomischen Stockholmsyndrom und identifizieren sich noch mit der übelsten Fabrikausbeutung.

Ich habe nie begriffen, warum die Arbeiterbewegung nicht für die Abschaffung der Arbeit kämpft, warum die Fabrikbeleg-schaften die Demonstranten im Pariser Mai verächtlich anstarrten. Der sozialistische Proletkult ist der Zwilling des faschistischen Herrenmenschenkults, beide verherrlichen die Zurichtung von Körpern zu Biomaschinen der Macht, gefangen im Mindset des Industriekapitalismus.

Arbeit ist ein psychischer Defekt.

              

Aus: ALLES AUF NULL: Gebrauchsanweisung für die Wirklichkeit. Edition Nautilus 2011. ISBN: 978-3894017477

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