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Ich frage mich, warum so viele immer noch stillhalten, warum sie die Fäuste nur in der Tasche ballen und mit den Achseln zucken, wenn irgendwo ein paar Unverbesserliche durch die Straße ziehen und wütende Zeilen skandieren. Tief in ihrem Innern haben sie sich den Schneid abkaufen lassen, für ein Auto, einen Urlaub von der Stange und ein paar hübsche Hightech-Spielzeuge, die die Eltern noch nicht kannten.

In diesen bleiernen Jahren ist der Protest zur Folklore verkommen, in dem alle Rollen feststehen, ganz gleich ob 400 oder 40.000 auf die Straße gehen, ein Einpeitscher gibt folgenlose Parolen vor, die eher lustlos nachgebetet werden, aus den Boxen dröhnt schlechte Musik, in den hochwertigeren Inszenierungen tauchen plötzlich ein paar Schwarzkutten in der Menge auf, Bewegung, Kampfanzüge blitzen auf, es wird unübersichtlich, Knüppel und Fäuste fliegen, bis schließlich Feuer und Wasserwerfer um das beste Fernsehmotiv ringen. Und alles bleibt, wie es ist.

Think big, träume ich und sehe ein audiovisuelles Virus sich durch die Netzwerke ausbreiten, in Hunderten von Sprachen poppt es auf einer Milliarde Bildschirmen auf wie Snowcrash, multipliziert sich zu Graffiti und weitergereichten Handzetteln, und mit einem Mal merken die Leute, dass sie die Macht immer schon in den Händen hielten, so nah, dass sie sie übersehen haben. Ja, raunen sie sich zu, warum haben wir das nicht vorher gemacht?

An einem Mittwoch im Spätsommer kommt es dann zum ersten globalen Smartmob der Geschichte und die Multitude zeigt auf allen Kontinenten den Bossen, Priestern und Führern die rote Karte. Ohne Krawall, ohne Protestfolklore, nein drei Milliarden Menschen verlassen einfach ihre Häuser, ihre Arbeit, die Tempel, die Felder, setzen sich auf den Straßen zusammen, essen, trinken und schweigen für Stunden. Ein Saramago-eskes Schweigen, das den Mächtigen in den Ohren dröhnt, ein erstes Zeichen, dass wir den Gesellschafts-vertrag für nichtig erklären, den wir nie unterzeichnet haben. Wir lassen uns nicht länger teilen und gegeneinander aufhetzen. Die Angst hat ein Ende.

Wir globalisieren den Generalstreik.

              

Aus: ALLES AUF NULL: Gebrauchsanweisung für die Wirklichkeit. Edition Nautilus 2011. ISBN: 978-3894017477

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